Die Förderung von Öl und Gas erlebt in Afrika derzeit eine Renaissance. Junge Aktivist:innen warnen vor dem fossilen Fluch und üben lautstarke Kritik.
Demonstrationen, Petitionen, Eilanträge vor Gericht: „Bisher war alles umsonst“, sagt Reinhold Mangundu bei einem Treffen in der namibischen Hauptstadt Windhoek. Seit über einem Jahr versucht der 27-Jährige, die Öl- und Gasexploration in seiner Heimat zu stoppen.
Gemeinsam mit anderen Aktivist:innen der Fridays for Future-Bewegung mobilisiert er gegen die Erforschung der Gas- und Erdölvorkommen im Nordosten Namibias. Bislang erfolglos. Ausgerechnet im Kavango-Becken, an den Zuflüssen des berühmten Okavangodeltas, werden die Probebohrungen fortgesetzt.
„Es ist menschenfeindlich, in dieser Zeit noch immer auf Öl und Gas zu setzen“, findet Mangundu, der im Nachbarland Südafrika am Institut für Nachhaltigkeit studiert hat. Es sei doch längst bekannt, was fossile Energieträger auf der Erde angerichtet hätten: „Wir stehen kurz vor dem Klimakollaps.“ Und mit über 300 Sonnentagen im Jahr seien die Alternativen in Namibia naheliegend, so der Nachhaltigkeitsexperte.
Ambivalente Haltung. Tatsächlich fährt die namibische Regierung zweigleisig und buhlt sowohl bei Konferenzen für Erneuerbare Energien als auch bei der Öl- und Gasindustrie um Investitionen: Solarfarmen sind geplant, ebenso wie die Förderung fossiler Energien.
Namibia
Hauptstadt: Windhoek
Fläche: 824.116 km2
Einwohner:innen: 2,5 Millionen
Nach der Mongolei ist Namibia der Staat mit der geringsten Bevölkerungsdichte weltweit.Human Development Index (HDI): Rang 139 von 191 (Österreich 25)
BIP pro Kopf: 4.729,3 US-Dollar (2021, Österreich: 53.267,9 US-Dollar)
Regierungssystem: Semipräsidiale Republik, Präsident Hage Geingob (seit 2015)
Für den namibischen Politikwissenschaftler Ndumba Kamwanyah spricht aus diesem „Spagat“ Verzweiflung: „Die Regierung verfolgt keinen klaren wirtschaftspolitischen Kurs. Stattdessen greift sie bei jeder sich ergebenden Möglichkeit zu“, kritisiert er.
Der Regierungspartei SWAPO, die seit der Unabhängigkeit 1990 das Gros der Stimmen auf sich vereint, gehe es dabei nicht zuletzt um politischen Machterhalt. Investitionen aus dem Ausland sollen den lang versprochenen Wirtschaftsaufschwung bringen.
Internationale Konzerne, die die Exploration vorantreiben, vermuten große Vorkommen im Kavango-Becken sowie Offshore vor der Küste. Die Förderung wird von Befürworter:innen als „Game-Changer“ bezeichnet.
Länder wie Namibia, die bislang wenig zu globalen Emissionen beigetragen hätten, bräuchten fossile Energien für ihre Entwicklung, ist Kondjeni Ntinda überzeugt. Er leitete bis 2021 das Öl- und Gas-Zentrum am Energieinstitut der Universität für Wissenschaft und Technologie in Windhoek und hat sich auf Energierecht spezialisiert.
„Wenn man sich die derzeitigen Ölpreise ansieht, weiß man, dass die Ressource Erdöl noch längere Zeit eine Rolle spielen wird“, sagt er. Mit den Einnahmen aus der Förderung und einer gewissen Wertschöpfung könnten die Wirtschaft angekurbelt, Jobs geschaffen und die soziale Entwicklung vorangetrieben werden.
Junger Staat
Nach deutscher Kolonialzeit und Apartheid unter südafrikanischer Verwaltung wurde Namibia 1990 ein demokratischer Staat. Seitdem regiert die ehemalige Befreiungsbewegung South-West Africa People’s Organisation (SWAPO).
Das Land leidet unter einer ausgeprägten sozialen Ungleichheit. Die Armut ist groß, die Arbeitslosenquote liegt über 21 Prozent. Laut Weltbank hatten im Jahr 2020 über 40 Prozent der Bevölkerung keinen Stromanschluss. Das Durchschnittsalter liegt bei 21,8 Jahren. Auch angesichts der jungen Wähler:innenschaft muss die SWAPO 2024, bei den nächsten Wahlen, um ihre Macht bangen. L. M.
Keine Entwicklungschance. Für junge Klimaaktivist:innen wie Mangundu sind das alles leere Versprechungen. Für ihn steht fest, dass die Rohstoffe bislang in keinem afrikanischen Öl- oder Gasförderland der Bevölkerung zu Gute gekommen sind. Stattdessen litten sie unter einem „Ressourcenfluch“. Die namibische Regierung sehe nun ebenfalls „eine Chance, sich zu bereichern“, so Mangundu.
Korruptionsgerüchte begleiten die Ölexploration im Kavango-Becken schon, seit die Pläne bekannt wurden.
Davon weiß auch Rinaani Musutua. Sie arbeitet in Windhoek für die zivilgesellschaftliche Organisation Economic and Social Justice Trust (ESJT). Regelmäßig fährt sie in die Kavango-Region und spricht mit den Menschen vor Ort.
Erst nachdem der kanadische Konzern Recon Africa mit den Probebohrungen begonnen hätte, seien die betroffenen Dorfgemeinschaften informiert worden. Dabei gehe es um ihre Lebensgrundlage, etwa der indigenen San. Die Gegend sei die ärmste in Namibia. „Die Menschen leben von ihrem Land, bauen Perlhirse an und ernten Waldfrüchte für den Verzehr und den Verkauf. Und jetzt kommt dieser Konzern, rodet Wälder und zerstört ihre Felder“, sagt Musutua von ESJT.
Rückschlag für Umweltverbände. Eine der größten Sorgen: dass das Grundwasser in dieser ökologisch sensiblen Region kontaminiert werden könnte. Ober- und unterirdische Flussarme reichen bis zum Okavangodelta, einem einzigartigen Ökosystem im Nachbarland Botswana. Auch dort hat sich Recon Africa Explorationsrechte gesichert.
Mit einem Eilantrag vor Namibias Oberstem Gerichtshof wollten Umweltverbände verhindern, dass die Probebohrungen ausgeweitet werden. Doch das Urteil fiel ernüchternd aus: Die Exploration wurde 2022 sogar ausgeweitet. Der Konzern betont, dass er Umwelt- und Sozialstandards nach anerkanter Branchenpraxis umsetzt.
Kritiker:innen würden teils massiv eingeschüchtert und kämen in staatlichen Medien kaum zu Wort, beklagt die ESJT-Sprecherin Musutua. Tatsächlich hat der Medien-Ombudsmann die einseitige Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Namibia gerügt. Stattdessen würden junge Umweltschützer:innen von Regierungsmitgliedern als „Hooligans“ bezeichnet, erzählt Aktivist Mangundu.
Derartige Beschimpfungen und eine Portion Ignoranz sind auch Ausdruck eines Generationenkonflikts. Und Umweltaktivismus ist in Namibia, einem Land, in dem viele Menschen mit dem unmittelbaren Kampf ums Überleben beschäftigt sind, vergleichsweise neu, sagt Mangundu. Doch seit Jahren macht die Klimakrise das Land noch wärmer und trockener. Umso wichtiger sei es, sich jetzt zu engagieren.
Leonie March arbeitet als freie Korrespondentin vor allem zum Südlichen Afrika. Ihre Reportagen, Features und Porträts sind u. a. in Deutschlandfunk, SRF und ORF zu hören. March ist Vorsitzende des Netzwerks weltreporter.net.
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